Komplex, bereichernd und unterbezahlt
Die Begleitung des Wochenbetts ist eine essenzielle Aufgabe der Hebammen. Hier umfassend wirksam zu sein, fordert weit mehr als die medizinische Beurteilung der Mutter und des Kindes. Sämtliche psychologische, gesellschaftliche, zwischenmenschliche und partnerschaftliche Konflikte der Familien fließen in dieser Zeit zusammen und werden so auch Bestand der Arbeit der Hebamme – ein riesengroßes Feld, das sich eröffnet!
Nicht nur das Ankommen in neuen Rollen und mit einem neuen Menschen auf der Welt beschäftigt die Eltern. Wie reagiert das große Geschwisterkind auf das neue Baby? Wie stelle ich als Vater eine gelungene Bindung zum Neugeborenen her? Möchte ich als Mutter stillen? Tausend Fragen und Herausforderungen prasseln auf das Familiengefüge ein. Damit Hebammen die Familien dann auffangen können, brauchen sie also Wissen und Erfahrung zu all diesen Lebenslagen.
In Deutschland findet die Wochenbettbetreuung größtenteils zu Hause statt – ein Privileg für die Familien (die eine Hebamme gefunden haben). Doch es gibt auch andere Konzepte für eine Wochenbettbegleitung, wie Daniela Erdmann in ihrem Beitrag zeigt. Vielleicht können wir uns in Zukunft etwas von diesen Arbeitsweisen abgucken.
Die Coronapandemie hat das Arbeiten der Hebammen in den letzten Jahren verändert und erschwert. Wochenbettbesuche erforderten neue Standards und Organisationsansätze, um eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten. Auch wenn die Pandemie nun kein neues Phänomen mehr ist, bleibt der Umgang mit ihr doch verunsichernd. Wie die Wochenbettbegleitung auch von Corona-positiven Müttern gestaltet werden kann, fasst Christina Aust in diesem Heft zusammen.
Hebammen sind bei der Wochenbettbetreuung im besten Fall auch Psycholog:innen, Familienberater:innen, Sozialarbeiter:innen und für sich selbst noch Manager:innen, Steuerberater:innen und Jurist:innen. Eigentlich ist es wunderschön, einen so vielschichtigen Beruf ausüben zu dürfen, solch komplexe Zusammenhänge zu erfahren und begleiten zu dürfen und mit jeder Betreuung auf unzähligen Ebenen zu wachsen – wäre da nicht das Geld, das man am Ende des Monats zum Überleben braucht. Die Wochenbettbetreuung ist unterbezahlt. Wie viel Arbeit Hebammen in dieser Zeit unentgeltlich leisten und warum das Wochenbett der unrentabelste Bereich ihrer Arbeit ist, fasst Dorothee Möller in ihrem Beitrag über ihre Masterarbeit zusammen.
Das Wochenbett zu begleiten ist also eine Aufgabe, die Wissen und Fähigkeiten über die originäre Hebammentätigkeit hinaus erfordert. Und genau diese Kompetenz macht unsere Berufsgruppe aus. Versuchen wir also, für die Rechte und die Finanzierung der Hebammen aufzustehen, Konzepte zu finden, die die Bedürfnisse der Familien und der Hebammen vereinen, und kämpfen wir weiter für eine gerechte und angemessene Vergütung für unsere wertvolle Arbeit!