»Kleine Sinusitis«

  • Birgit Heimbach, Hebamme und Redakteurin der DHZ: »Bei der Stillberatung sollte man die Anatomie kennen.«

  • Das Titelbild dieser Ausgabe zeigt den Schnitt durch eine Brustwarze samt Areola. Ein Milchgang (Ductus lactifer) zieht herauf, mündet in ein spindelförmiges Milchsäckchen (Sinus lactifer), auch Milchsee genannt, verjüngt und öffnet sich nach oben. Im Sinus steckt ein kleiner schützender Keratinpfropf – normal vor der Laktation. Das Foto sendete mir Dr. Susan C. Lester, Brustpathologin aus Boston. »Warum«, schrieb sie verwundert, »ist es wichtig, dass Hebammen von der Existenz der Sinus wissen?« »Nun, bei der Stillberatung sollte man die Anatomie und damit verbundene Funktionsstörungen kennen«, habe ich ihr geantwortet. »Genau hier sollten die Lippen des Säuglings draufdrücken und die Finger bei der Hand-Entleerung ansetzen.« Diese Sinus in der glatten Muskulatur in und knapp unter der Areola können sich stärker erweitern als die Gänge (Ductus lactiferi) und füllen sich reservoirartig beim Stillen mit Milch. Ihre Existenz wurde in Frage gestellt: 2005 schallte eine Sonograferin in Australien 20 laktierende Frauenbrüste, sie fand natürlich keine riesigen Milchreservoirs, was sie überprüfen wollte, sehr wohl aber milchgefüllte Milchgangerweiterungen. Trotzdem war ihr Resümee: Es gibt keine Sinus lactiferi. Die Studie war gesponsert durch eine große Milchpumpen­firma. Diese verbreitete nun neue Bilder, die die Anatomie der laktierenden Brust nach ihrer Aussage »weitgehend revolutionieren« sollten – mit »Relevanz für die Praxis«. Auf den Bildern verlaufen die Gänge nun schnurgerade und unverändert in der Form durch die Mamillen. Die Fehlinformation verbreitete sich. Auch auf dem Deutschen Hebammenkongress 2021 trug nun ein Chefarzt vor, dass es die Milchseen nicht gebe.

    1979 zeigte Prof. Gerhard Martius in der 3. Auflage des Hebammen­lehr­buches eine Zeichnung vom Drüsenkörper einer laktierenden Brust. Da, wo sich in etwa eigentlich die Alveolen befinden, sind drei größere Flächen mit der Bezeichnung Milchseen markiert. Trug dieser Fehler dazu bei, dass sich die Vorstellung etablierte, dass sich größere Milchreservoire – außer in den Alveolen – in der Brust befinden? In der 4. Ausgabe von 1983 war das Bild korrigiert: Nun sieht man Milchseen direkt hinter der Mamille – wenn auch noch etwas unklar in der Form. Dabei hatte sie bereits 1840 Sir Ashley Cooper präpariert und beschrieben: kleine längsgefaltete Erweiterungen der »lactiferous tubes« direkt unter der Mamille.

    Die Sinus können zum Stillhindernis werden: Ihr Plattenepithel kann verstärkt verhornen. Die keratinhaltigen Schüppchen bilden dann mit fetthaltigem Sekret einen dicken Pfropf (Retentionssyndrom), der den Sinus weitet (Ektasie). Der Mammapathologe Prof. Roland Bäßler schrieb 1978 ausführlich darüber. Meinte Martius solch einen exprimierbaren Pfropf, als er im winzigen Kapitel zu Stillhindernissen von »schwergängigen Brustwarzen« schrieb?

    Der Pathologe Prof. Dr. Peter Sinn beschreibt in dieser Ausgabe die Anatomie der kleinen subareolären Strukturen und erläutert »Zuska’s disease« – heute »Squamous metaplasie of the lactiferous ducts« (SMOLD) genannt. Bei einer extremen Verhornung und Sekretstauung können sich die verstopften Sinus entzünden – gewissermaßen als »Kleine Sinusitis«.