Durch die Krise führen
Wir haben 2003 einen Schwangerschaftsabbruch in der 24. Schwangerschaftswoche gemacht, als wir erfahren haben, dass unser Sohn Peanuts schwer krank war. Mittlerweile bereue ich zutiefst diese Entscheidung und es fällt mir sehr schwer, damit zu leben. Ihr Film hat mir gezeigt, dass es doch einen anderen Weg gibt, etwas, was ich immer gespürt hatte, aber damals nicht wusste." Dies ist der aktuellste Eintrag im Internet-Gästebuch zu meinem autobiografischen Dokumentarfilm „Mein kleines Kind". Der Film handelt von meiner eigenen Entscheidungsnot nach einer niederschmetternden pränatalen Diagnose für meinen Sohn Martin – und davon, wie er vier Monate später im Kreis seiner Familie geboren wird, wo er sein dreieinhalb Stunden langes Leben in meinen Armen verbringt. Elf Jahre ist das her. Dass sich diese Frau in ihrem Kummer mit meinem Film auseinandersetzt, dessen Bilder ihr sicher den eigenen Verlust schmerzlich vor Augen führen, lässt erahnen, wie belastend die Nachwirkungen eines Spätabbruchs Jahre später sein können.
Die letzten sieben Jahre, in denen der Film auf Fachkongressen, im Kino und in Internetforen nach Fernsehausstrahlungen diskutiert wurde, waren für mich Lehrjahre in einer dem Alltag verborgenen Wirklichkeit: Meine Auseinandersetzung mit dem Tabuthema öffnete für manche die eigene Verschlossenheit. Alle Facetten persönlicher Erfahrungen im Zusammenhang mit den schwer zu lösenden Fragen der PND zeigten sich mir. Im Kino ihres Ortes trafen sich ÄrztInnen, Hebammen, Krankenschwestern, Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen, PsychologInnen oder SeelsorgerInnen und Mitglieder von Elterninitiativen häufig zum ersten Mal beim Filmgespräch – fassten manchmal den Entschluss, künftig zusammenzuarbeiten. Die Fachleute hörten im Kinosaal von kurz oder viele Jahre zurück liegenden Lebenserfahrungen betroffener Mütter aus ihrer Region: nicht selten von schroffer, unzureichender Beratung und albtraumartigen Erlebnissen beim Abbruch und viel zu oft vom Schmerz, eine zu schnelle, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben ohne eine Alternative vor Augen. Sie hörten von Fehldiagnosen mit Rat zum Abbruch bei einem gesunden Kind – auch von der Überforderung von Müttern, die mit Kürzungen notwendiger Fördermaßnahmen für ihr behindertes Kind zurecht kommen mussten... .
Das Problembewusstsein gegenüber PND ist heute auf vielen Ebenen gewachsen. Regional gibt es große Unterschiede in der Qualität der Betreuung über die reine Diagnostik hinaus. Wünschenswerten Betreuungskonzepten steht oft finanzielle Knappheit gegenüber. Ist es ein Luxus, Eltern im Schock ihrer Entscheidungsnot und in der Krise danach als „Bergführer" auf ihrem langen Weg fachkundig zur Seite zu stehen, damit diese Gratwanderung nicht in innere Abgründe führt? Dafür, dass Eltern ausgereifte Entscheidungen treffen können und zum langfristigen Schutz ihrer Gesundheit, sollte diese Sorgfalt ein selbstverständliches Gebot sein.