»Hebammenkunst – mit Zeit und Ruhe«
Mit herzlichen Worten begrüßte Britta Zickfeldt, Verlegerin des Elwin Staude Verlags, in ihrer frischen Art die Teilnehmer:innen auf dem 7. DHZCongress Anfang September, erstmals seit 2018 wieder in Präsenz. Das Motto lautete dieses Mal »Hebammenkunst – mit Zeit und Ruhe«. Insgesamt kamen rund 600 Teilnehmende plus 25 Referent:innen ganz unterschiedlicher Professionen und dazu zahlreiche Aussteller:innen ins Congress Centrum Hannover.
Zunächst rüttelte die Erste Vorsitzende des Hebammenverbandes Niedersachsen Hilke Schauland die Zuhörenden auf. Sie mögen bitte nicht immer nur den persönlichen Geschichten anderer geduldig zuhören, sondern sich öfter selbst an den richtigen Stellen für die eigene Sache zu Wort melden, um Mangelzustände klar zu benennen und sich für eine höhere Bezahlung ihrer Tätigkeit einzusetzen.
Hilke Schauland, Vorsitzende des Hebammenverbandes Niedersachsen, spricht am Stand des Elwin Staude Verlags mit Marketingleiterin Anne Meier-Hezinger.
Kurz darauf versprach die Moderatorin Mona Matthews einen bahnbrechenden ersten Vortrag, der es tatsächlich schaffte, viele Hebammen im Saal zu berühren, ihre Antennen zu kalibrieren und ihre Bereitschaft für Konzentration und Inspiration für die nächsten zwei Tage zu aktivieren. Auf der Bühne stand der Mediziner und Philosoph Prof. Dr. Giovanni Maio, der seit 2005 – ausgehend von der Anthropologie – am Institut für Ethik und Geschichte von der Uni Freiburg unterrichtet. Maio erläuterte, er brenne für das Nachdenken über die Geburt, diese ganz besondere Erfahrung. Und bei seinen folgenden Ausführungen sprang ein Funke über, der sofort bei den Zuhörenden ein neues Flämmchen entzündete. Das Einbetten ihres Berufs in philosophische Gedankengebäude ist für viele Hebammen eine neue Disziplin, mit der sich die existenzielle und essenzielle Erfahrung von Geburt in unserer Gesellschaft besser beschützen lässt. Wir seien nicht einfach in die Welt geworfen, womit Maio sich auf den Philosophen Martin Heidegger (1889–1976) bezog. Mit Geworfenheit beschrieb dieser, dass wir alle ungefragt in der Welt auftauchen und dies nicht selbst kontrollieren können. Maio dagegen betont, dass wir diese Erfahrung nicht allein machen, sondern geboren wurden von einer Frau. Eigentlich seien es sieben Erfahrungen, zu denen er auch die Bedeutung der Hebammen aufzeigte. Geburt sei:
- Eine existenzielle Erfahrung, das Untrivialste der Welt, etwas anrührend Einzigartiges, was den Hebammenberuf so besonders mache
- Eine Erfahrung des Umbruchs, eine Unterbrechung des bisherigen Zeitkontinuums, was neue Identitäten stiftet
- Eine Erfahrung des Aufbruchs, ein Symbol für die Offenheit der Zukunft. Maio spielte auf die deutsche Philosophin Hannah Arendt (1906–1975) an: »Wir fangen etwas an. Wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie.«
- Eine Sinnerfahrung in der Hinsicht, dass ein neuer Sinn in die Welt komme und dass man dem Kind so viel Sinnvolles geben könne
- Eine Gemeinschaftserfahrung durch das Mitsein der Mutter, wir seien Beziehungswesen und Hebammen seien an diesem Gemeinschaftlichen intensiv beteiligt
- Eine Vertrauenserfahrung, bei sich das Kind fraglos der Welt übergibt
- Eine Verantwortungserfahrung, die das Urmenschliche in uns hervorrufe, ein Symbol der Menschlichkeit. Hebammen unterstützten Frauen in ihren Ressourcen, um einer guten Sorgekultur nachzukommen. Solange es Geburten gebe, hätten wir Grund, an die Zukunft zu glauben.
Im Anschluss wurde Maio von Schauland gebeten, seine Thesen aufzuschreiben, um sie auch in der politischen Auseinandersetzung einzusetzen. Maio fasste zusammen: »Wir brauchen eine neue Haltung zur Geburt.« Es bedürfe einer Betreuung mit Zeit und Ruhe als Gegenimpuls zum Konzept der industrialisierten und trivialisierten Geburt. In der anschließenden Diskussion erklärte er noch mal, dass die Geburt nicht etwas rein Funktionales, Mechanistisches sei, sondern etwas Dialogisches, eine Kultur der Zuwendung. Zeit sei dafür die zentrale Investition.
Auskultation und Schwangerenvorsorge in der Gruppe
Die beiden österreichischen Hebammen Beate Kayer und Prof. Hemma Pfeifenberger widmeten sich der fetalen Überwachung in der Schwangerschaft. Sie erläuterten das Entstehen von Leitlinien, von denen man auch abweichen dürfe bei guter Argumentation und im Hinblick auf die verunsichernde Zunahme von Risikoangaben im Mutterpass. Gleichwohl betonten sie: Ein CTG sei bei einer Low-Risk-Schwangerschaft nicht erforderlich. Indikationen für ein erstmaliges CTG seien etwa eine drohende Frühgeburt in der 26. oder 27. Schwangerschaftswoche und ab der 28. Woche, wenn es eine Auffälligkeit bei der Auskultation gebe oder bei Verdacht auf vorzeitige Wehen. Ansonsten seien ein dünn gefrästes HT-Rohr und das Dopton die Mittel der Wahl. Dies sei auch wichtig zu wissen für die Frauen, die mitunter nun mit einer Rechnung nach einem CTG konfrontiert würden. Es sei aber zu beachten, dass das CTG-Schreiben beim GKV-Spitzenverband noch keine eingetragene IGe-Leistung sei.
Es folgte ein Mutmachbeispiel – ein Programmpunkt, der von Anfang an zu jedem DHZCongress gehört. Es ist eine gute Möglichkeit, bei den Zuhörenden Reserven zu mobilisieren und etwas in Gang zu bringen. Auf diesem Kongress gab es insgesamt vier Mutmachbeispiele, verteilt über die zwei Tage.
Als Mutmachbeispiel stellen Elina Eichel, Karin Gantevoort und Günes Brown das Pilotprojekt »Schwangerenvorsorge in der Gruppe« vom Haus für Geburt und Gesundheit in Hamburg vor.
Das erste war das Pilotprojekt »Schwangerenvorsorge in der Gruppe« vom Haus für Geburt und Gesundheit in Hamburg, das 2022 gegründet wurde. Vorbild ist das Projekt CenteringPregnancy® aus den USA, über das bereits 1998 im Journal of Nurse-Midwifery berichtet wurde und das sich nur allmählich in verschiedenen Ländern etabliert – erstmals in Deutschland nun in Hamburg. Die holländische Hebamme Karin Gantevoort hat es dort eingeführt und bietet auch Fortbildungskurse für Hebammen und andere Berufsgruppen an. Gemeinsam mit den zwei Hamburger Kolleginnen Güneş Brown und Elina Eichel erzählte sie auf dem Kongress von ihren Erfahrungen aus den Niederlanden, wo bereits vor zwölf Jahren die niederländische Organisation for Applied Scientific Research Child Health mit dem Centering Health Care in den USA einen Vertrag abgeschlossen hat.
Jeweils acht bis zwölf Frauen werden in dieser Art Schwangerenvorsorge bei neun zweistündigen Terminen gemeinschaftlich betreut. Die Frauen werden dabei ermutigt, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, was zu einem Empowerment führt. Die Idee: Gesundheit wächst in der Gemeinschaft. Einige Programmteile werden von den Schwangeren selbst durchgeführt, andere von Hebammen. Im Hamburger Haus für Geburt und Gesundheit hätten sich bereits mehrere Gruppen erfolgreich etabliert. Wie sich diese Form in Deutschland zukünftig finanzieren lässt, sei noch unklar, hier bedürfe es noch kreativer Vorschläge. Auf jeden Fall könne sie die üblichen Schwangerschaftvorbereitungskurse ersetzen, was auch Kosten einspare.
Cannabis und Rebozo
Der Vortrag von dem Allgemeinmediziner und Chemiker Dr. Konrad F. Cimander trug den Titel»Cannabis in der Schwangerschaft«. Der Präsident der Deutschen Medizinal-Cannabis-Gesellschaft e.V. setzt sich für die medizinische Verwendung dieser Droge ein, deren Verordnung seit 2017 legal möglich ist. Vielerlei positive Wirkungen zählte er auf, so sei sie etwa schmerz- und angstlindernd, entzündungshemmend, sogar eine Tumorhemmung gebe es.
Cannabis hat zwei Bestandteile: Tetrahydrocannabinol (THC) ist psychoaktiv und wirkt auf das körpereigene Endocannabinoidsystem (ECS), indem es die Dopamin-Konzentrationen im Gehirn verändert. Daneben gibt es das Cannabidiol (CBD), das nicht psychoaktiv wirkt, dafür entzündungshemmend ist.
An der Charité in Berlin sei nun der Einsatz von CBD bei Endometriose geplant. Cimander warnte davor, Cannabis in Eigenregie vor dem 25. Lebensjahr zu konsumieren, denn bis dahin sei die Gehirnreifung noch nicht abgeschlossen. In Bezug auf den Konsum in der Schwangerschaft führte er eine aktuelle Studie aus Kalifornien an, in der ein paar Risiken genannt wurden, darunter eine Zunahme von Präeklampsiefällen, aber auch eine Abnahme mütterlicher Morbidität, allerdings gebe es Widersprüche zu anderen Studien. Im Gegensatz zu allen anderen Drogen gebe es aber anscheinend keine Entzugserscheinungen bei Neugeborenen, wie etwa bei den sogenannten Crying Babys nach dem Konsum von Kokain, denn vermutlich seien die entsprechenden Rezeptoren am Gehirn für THC noch nicht ausgereift.
Die ehemalige Lehrhebamme aus Berlin Ulrike Harder bekam viel Applaus für ihre Aus- und Vorführungen zum Rebozo-Tuch: In allerlei Varianten kann es dazu dienen, es der Gebärende so komfortabel wie möglich zu machen. Durch mehr oder weniger starkes Rütteln helfe es dem Kind und den Geburtswegen, sich besser aufeinander einzustellen. Sie stellte ihre eigens entworfene Variante mit zwei Metallringen zum Verstellen der Länge vor, um für Hebammen die Handhabung noch einfacher zu gestalten: die sogenannte Ring-Schlaufe nach Harder. Viel kreative Näharbeit war dem voraus gegangen. Auch andere Utensilien stellte sie mit Witz und Herz noch kurz vor, Dinge, um die Gebärenden abwechselnd in Bewegung und Entspannung zu bringen, darunter Eggballs und Stillkissen.
Pausen zulassen
Große Begeisterung, Applaus und Zuspruch erntete der Beitrag der Berliner Hebamme Nele Krüger, die seit 2019 vor allem als Dozentin unterwegs ist. Sie machte mit Zitaten aus historischen geburtshilflichen Lehrbüchern deutlich, wie seit Anfang des 19. Jahrhunderts das Verständnis für physiologisch sinnvolle Ruhepausen während des Geburtsprozesses verschwand und der Verlauf der Wehen normiert wurde. Anstatt der Frau und dem Ungeborenen auch mal Pausen zu gönnen, wurde nun mit dem Tropf stetige Anspannung des Uterus forciert.
Erst die neuere hebammenspezifische Literatur entdecke wieder den Sinn der sogenannten transitional Stages: »Eine Geburt ist eben nicht linear, sondern verläuft in Schüben.« Es sei unbedingt ein Paradigmenwechsel nötig: Eine vermeintliche Wehenschwäche sei unter Umständen eine physiologisch bedingte Pause. Krüger erwähnte ein anthroposophisches Krankenhaus, das dies verstanden habe und deshalb mitunter sogar mit einer PDA eine künstliche Pause initiiere, um der Frau Kraft für neue Wehen zu schenken.
Unterstützt wurde der Vortrag mit vielen Zitaten von verschiedenen Geburtshelfern über die Jahrhunderte. Nachhaltigen Eindruck machte ein Zitat von 1817: »Man muss sich kein Ideal von eingebildeten Wehen aufstellen und nach diesem die wirklichen bei jeder einzelnen Geburt beachten, sonst wird man bei den meisten Gebärenden etwas zu tadeln und zu pfuschen haben, sondern die Sachen so nehmen wie sie sind, und in jedem Fall sein können…«. Diese Worte stammen vom Professor für Geburtenhilfe Johann Lukas Boër (1751–1835) von der Uni Wien. Ein Blick ins Internet zeigt, dass er Grundsätze vertrat, die er selbst als naturnah oder natürlich bezeichnete. Diese Geburtshilfe, über die er sieben Bücher schrieb, galt sonderbarerweise schon damals als modern. Dazu gehörte, dass er selbst weitgehend auf Hilfsmittel wie Zangen verzichtete , die damals offenbar schon gängig waren – wegen Anfeindungen trat er 1822 von seinen Ämtern zurück.
Im zweiten Mutmachbeispiel erläuterten Hilke Schauland und ihre Kollegin Elena Bercx ihr Projekt »Bauchgefühl«, das vom niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gefördert wurde: Mit der Einführung von kostenlosen Hebammensprechstunden an zwei Kliniken konnten sie die Sectiozahlen senken.
Tokolyse und Abnabeln
Christiane Schwarz stellt die intrapartale Tokolyse infrage: »Ist gut gemeint das Gegenteil von gut?«
Den zweiten Tag begann Christiane Schwarz, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Uni Lübeck, mit ihren Ausführungen zur intrapartalen Tokolyse. Zunächst erläuterte sie Wesentliches zur Physiologie und Pathophysiologie der Wehen, auch die physiologische CTG-Interpretation nach Prof. Edwin Chandraharan und welche Medikamente es gibt, um Wehen zu stoppen und wie sie wirken. Sie demonstrierte am Beispiel von Partusisten, dass ein Wehenhemmer nicht immer die beste Lösung ist: Ein reifer Fetus – im Gegensatz etwa zu einem Frühgeborenen – könne neben dem Energieverbrauch für Stoffwechsel und Wachstum noch Reserven abspeichern in Form von Glycogen. Dies sei sehr wichtig, um darauf im Falle einer Hypoxie unter der Geburt als Ersatztreibstoff zurückgreifen zu können. Dabei müsse nur in Kauf genommen werden, dass Laktat entstehe, was zu einer Azidose führ, die Gefäßschäden nach sich ziehe.
Schwarz hat sich nun angeschaut, was passiert, wenn genau dann eine Tokolyse mit Partusisten gemacht werde. Unter den Nebenwirkungen für das Ungeborene sah sie: Hypoglykämie und metabolische Azidose. Es werde also das hervorgerufen oder noch verstärkt, was im Fall einer Hypoxie bereits an Pathologie vorliege, vor allem im Fall einer »relative uteroplacental Insuffiency of Labor« (RUPI-L). Man müsse also ganz genau schauen, ob und wann man Partusisten gebe oder ob man lieber einfach nur den Wehentropf ausschalte, der mitunter sogar erstaunlicherweise parallel mit Partusisten gegeben werde. In ihrem schwarzen Humor erklärte sie, dass das Mittel ein angstlösendes Medikament sei, »aber nur beim Arzt« – wissend darum, dass im Beipackzettel bei den Nebenwirkungen für die Frau dagegen sogar Angstzustände stehen.
Klar aufgebaut und überzeugend sprach die junge Hebamme und Ethnologin Zora Gallenberger aus Berlin, die ihre Masterarbeit dem richtigen Zeitpunkt des Abnabelns gewidmet hat (zu dem Durcheinander an Empfehlungen erschien im Oktober ein ausführlicher Artikel in der DHZ auf Seite 52). Sie recherchierte dazu ausführlich in alten und traditionellen Kulturen sowie bei Menschenaffen, besah sich den historischen Wandel und befasste sich mit der Physiologie der Plazenta, deren Geburt aus Latenz-, Ablöse- und Expulsionsphase bestehe. Klare Richtschnur am Ende des Vortrags: Den Zeitpunkt der Ablösephase bestimmt das Kind über Oxytocin. Und: Das Kind ist erst dann adaptiert, wenn sich die Plazenta löst. Dann erst sei auch das Blut der Plazenta in den Lungenkreislauf übergetreten. Klarer Rat: Erst danach sollte man die Nabelschnur durchtrennen, sonst würde ihm die Adaption viel zu schnell zugemutet. Man müsse dem Geschehen viel mehr Zeit und Ruhe geben. Eine berechtigte Frage kam zum Schluss von einer zuhörenden Hebamme: Wie soll man in Bezug auf Stammzellspende aus der Nabelschnur an eine Nabelschnurbank beraten, wobei die Nabelschnur ja nicht auspulsieren dürfe? Die Antwort erübrigte sich.
Neue Projekte
Im dritten Mutmachbeispiel erläuterten die leitende Hebamme Anja Salmassi, die im Marienhospital in Aachen auch in der Pflegedirektion sitzt, mit ihren Kolleginnen Laura Üffing und Jeanette Kuckartz die Umwandlung eines normalen Kreißsaals in einen Hebammenkreißsaal. Wirklich beeindruckend, wie sie ihr Gesamtkonzept und ihre Philosophie in die Tat umsetzen konnten – einschließlich der Gestaltung der Räume. Wohl alle Frauen und Hebammen mögen sich bei der Arbeit dort von emotionaler Sicherheit und Liebe umgeben fühlen.
Durch ihr langes und intensives Wirken hat Esther Göbel einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Ende 2024 gibt sie die Leitung der Hebammenpraxis im Geburtshaus in Bühlau ab, zu der auch eine Frauenarztpraxis und ein Geburtshaus gehören. Sie interessiert sich seit einiger Zeit dafür, was Kinder unter der Geburt erleben, was sie davon berichten, wenn sie weinen und wie man sie dort abholen könnte, um ihre Traumatisierung aufzulösen. Ein gutes Ansinnen. Rebirthing ist das, was sie nun praktiziert. Begriffe wie Nabelschock und Schockwelle verdeutlichen, was das Kind bei seiner Geburt für Schrecken verkraften muss. Aber auch umstrittene Namen tauchen auf, wie der des Babytherapeuten Matthew Appleton, der Göbel in ihrer neuen Arbeit inspirierte, aber manche Zuhörerin wegen seiner fragwürdiger Praktiken aufschrecken lässt (siehe auch DHZ 4/2019, Seite 68ff.).
In Filmen zeigte sie, wie sie Babys durch ihre zu einem Ring geformten Hände mittels deren Geburtsreflexe die Geburt nochmals nacherleben lässt. Das laute Geschrei sei dabei nötig, auch wenn das vor allem die Väter nervlich kaum aushalten könnten. Auf jeden Fall war berührend, wie sie sich bemüht, möglicherweise erlebte Traumata zu verscheuchen. Der intensivere Blick aufs Kind ist bestimmt gut, anrührend auch ihre Idee, das Erleben des Kindes unter der Geburt im U-Heft zu beschreiben – auch wenn vielleicht nur ansatzweise in Worte zu fassen ist, wie der Geburtsschrei und nachfolgendes Schreien als Ausdruck von Schock, Wut, Schmerz zu deuten wäre. Die Frage ist nicht neu. Bereits der große deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) machte sich darüber Gedanken. Seiner Meinung war es kein Jammern, sondern ein Ton der Entrüstung und aufgebrachten Zorns. Nicht weil das Kind etwas schmerze, sondern weil es sich durch sein Unvermögen, sich zu bewegen, gefesselt fühle.
Empathie hilft immer
Noch ein starkes Mutmachbeispiel folgte: das von der leitenden Hebamme Ingrid Voigt und dem Oberarzt Frank Madundo, die gemeinsam im Ortenau Klinikum in Offenburg arbeiten. Sie waren aufgeschreckt, als im Zuge des Roses Revolutioin Days plötzlich Rosen vor ihrem Kreißsaal lagen. Trotz der besten Absichten aller im Team? Die Verunsicherung war groß. Es gab einen Kontakt zu Mother Hood und gemeinsam mit der dort aktiven Sarah Schulze wird nun nach verschiedenen Schulungen die Möglichkeit einer Nachbesprechung für jede Frau angeboten.
Dabei werde unbedingt respektiert und ernst genommen, was sie berichtet. Offene Fragen würden beantwortet, Zusammenhänge traumasensibel besprochen. Dabei fielen Sätze wie: »Ich fühlte mich nicht gesehen« oder »Ich hatte große Angst um mein Kind«. Schulze stellte Emotionskurven vor, auf denen in einem Vorgespräch auf einem Zeitstrahl das Auf und Ab der Gefühle eingezeichnet werden kann, mit kurzen Hinweisen auf das Geburtsgeschehen. Das gemeinsame Konzept gehe auf. Empathie helfe immer, so Madundo. Heilungspotenzial könne dann entfaltet werden.
Zum Schluss des Kongresses ging es um Langzeitstillen: Laura Hubrich, Wirtschaftsinformatikerin von Beruf, erzählte frei heraus von ihren anfänglichen Stillschwierigkeiten mit ihren beiden Söhnen, die drei Jahre auseinander sind, und wie sich dann wunderschöne Stillzeiten eröffneten, die beim ersten Kind zweieinhalb Jahre und beim zweiten sogar fast vier Jahre dauerten. Gegen die vielen Widerstände von außen war sie irgendwann immun und genoss das unkomplizierte, kuschelige Ernähren ihrer Söhne, die jeweils ein ganz anderes Temperament dabei offenbarten.
Unterstützt wurde dieser Vortrag von Ausführungen von Christiane Stange, der Ersten Vorsitzenden des Vereins La Leche Liga. Sie machte deutlich, wie wichtig es sei, junge Mütter von gut geschulten Professionen zu informieren und zu unterstützen. Dass dabei solche Kongresse eine wesentliche Bereicherung sind, wichtige Informationen zu vermitteln, und die Möglichkeit bieten, sich auch interprofessionell zu vernetzen, wurde wieder einmal deutlich. Es war eine Veranstaltung, die alle enger aneinander schmiedete.