Qualitative Studien aus Australien

Kaiserschnitt: Wo ist mein Kind?

  • Eine frauzentrierte Geburtshilfe bedeutet auch, nach einer Sectio das Bonding zwischen Mutter und Kind zu fördern, damit nicht das defizitäre Gefühl bleibt, den ersten Körperkontakt verpasst zu haben.

  • Eine Trennung zwischen Mutter und Kind direkt nach der Geburt kann negative Folgen haben: Werden Frauen direkt nach der Geburt von ihrem Baby getrennt, leiden sie häufig für lange Zeit darunter. Solch eine negative Geburtserfahrung kann den Übergang in die Mutterschaft erschweren und das emotionale Wohlbefinden nachhaltig negativ beeinflussen. Im Rahmen einer qualitativen Studie untersuchten Forscherinnen aus Australien hierzu kürzlich, wie Frauen eine direkte Trennung von ihrem Baby nach einer Geburt per Kaiserschnitt erleben.

     

    Vier zentrale Themen

     

    Sie führten unstrukturierte Tiefeninterviews mit 15 Frauen durch, die direkt nach der Sectio von ihrem Kind getrennt wurden. Die Daten wurden qualitativ ausgewertet. Vier Themen wurden aufgezeigt: Trennung, emotionale Aufruhr, Einfluss und Einsicht.

     

    Trennung

     

    Alle befragten Frauen hatten den starken Wunsch, nach der Geburt ihr Baby zu halten. Naomi beschrieb dabei, dass sie keine genaue Zeitvorstellung hatte, die Zeit der Trennung in ihren Erinnerungen jedoch als endlos lang empfand: »Es war vermutlich ungefähr eine Stunde, aber es fühlte sich endlos lang an ...« In einem Krankenhaus wurde der Mutter ein Foto des Kindes gezeigt, was sie als sehr komisch empfand, weil die Hebammenstudentin ihr Baby vor ihr gesehen hatte. Frauen bedauerten zudem den fehlenden Haut-zu-Haut Kontakt sowie ein verzögertes erstes Anlegen bei dem Wunsch, ihr Kind zu stillen.

     

    Emotionale Aufruhr

     

    Die Geburt eines Kindes kann Frauen in emotionale Aufruhr versetzen, weil Gebären ganz eigene Empfindungen bewirken kann. So äußern Frauen in der Studie Gefühle wie Ängste, Verwirrung oder auch Trauer. Die Teilnehmerinnen äußern übereinstimmend negative Empfindungen in Bezug auf die frühe Trennung von ihrem Kind, wobei ganz konkret das Gefühl der Trauer aufgrund fehlenden Bondings benannt wird.

     

    Einfluss

     

    Die Teilnehmerinnen erlebten verschiedene Facetten an »Einflussnahme« in Bezug auf die Trennung von ihrem Kind. Hierbei wurden beispielsweise strukturelle Gegebenheiten der Geburtsklinik benannt. Zudem erlebten Frauen auch, übergangen zu werden. Michelle zeigt auf: »Ich erinnere mich nicht, dass nach meiner Meinung gefragt wurde ... die Hebamme bereitete mich lediglich (auf die bevorstehende Trennung vom Kind) vor, indem sie darauf hinwies, dass das Team personell unterbesetzt sei.«

     

    Einsicht

     

    Frauen teilten in dieser Studie, dass sie sich aufgrund der Trennung vom eigenen Kind als verletzlichen Teil des Gesundheitssystems erlebt hatten. Eine Frau beschreibt ihren Wunsch, diesem Erleben zukünftig bewusster entgegenzutreten.

     

    Resümee

     

    Die Autorinnen diskutieren anhand ihrer Daten, dass Frauen sich nach einer Kaiserschnittgeburt mit dem Erleben einer direkten Trennung vom Baby in einer zutiefst verletzlichen Situation befinden. Sie erleben eine Form von Kontrollverlusts über sich selbst und ihr Baby. Diese Frauen empfinden, dass die Bedürfnisse des Krankenhauses sowie krankenhausinterne Abläufe über die Bedürfnisse von ihnen als Mütter gestellt werden. Frauen können dadurch traumatisiert werden, wenn sie direkt nach der Geburt von ihrem Baby getrennt werden.

    Die Autorinnen kritisieren: Trotz Anwesenheit einer Hebamme bei jeder dieser Kaiserschnittgeburten wurde keine frauzentrierte Geburtshilfe geleistet. Eine frauzentrierte Geburtshilfe umfasse, den direkten Kontakt zwischen Mutter und Baby nach der Geburt zu fördern. 

    Quelle:  Deys, L. J., Wilson, V., Bayes, S., & Meedya, S. (2024). »Where's my baby?« A feminist phenomenological study of women experiencing preventable separation from their baby at caesarean birth. Women and birth : journal of the Australian College of Midwives, 37(6), 101828. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.wombi.2024.101828 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 22.10.2024