Retrospektive Beobachtungsstudie aus Nepal

Hämodynamische Anpassung an die Höhe bei tibetanischen Müttern

  • Mütter aus den Bergregionen Tibets verfügen über ausgereifte Adaptionsvorgänge im Blut. Sie können Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in der Höhenlage nicht nur überleben, sondern extrem gut damit umgehen.

  • Seit Jahrhunderten leben und gebären Frauen auch unter extremen Bedingungen, wie beispielsweise in Nepal auf Höhen über 3.500 m. Diese Frauen standen im Fokus einer aktuellen Studie: Wie können tibetanische Frauen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett auf einer Höhe meistern, auf der bereits nicht schwangere Personen eine Höhenkrankheit entwickeln können?

    Durchgeführt wurde eine retrospektive Beobachtungsstudie in Upper Mustang in Nepal. Im Rahmen der Studie wurden 417 tibetanische Frauen im Alter zwischen 46 bis 86 Jahre untersucht, die in auf einer Höhe von über 3.500 m lebten. Alle in die Studie eingeschlossenen Frauen hatten ihre reproduktive Phase abgeschlossen. Sie wurden nach ihren Geburten und ihrer geburtshilflichen Anamnese befragt, zudem wurden ihre Blutwerte erhoben und ihre DNA analysiert.

     

    Besondere hämatologische und kardiovaskuläre Eigenschaften

     

    Die Frauen berichteten über 2.193 Schwangerschaften, 2.076 Geburten, 71 Fehlgeburten und 46 Totgeburten. Durchschnittlich waren es 5,3 Schwangerschaften und 5,2 Lebendgeburten pro Frau. Die Ergebnisse zeigten, dass höhergradig mehrgebärende tibetanische Frauen besondere hämatologische und kardiovaskuläre Eigenschaften aufwiesen: Diese waren hohe Hämoglobinwerte, hohe Sauerstoffsättigungswerte des arteriellen Blutes, jedoch keine erhöhte Viskosität.

    Frauen mit frühen ersten Geburten zeigten besonders gute sauerstoffrelevante Blutwerte. Die Kombination hoher Hämoglobinwerte, hoher Sauerstoffsättigungswerte des arteriellen Blutes ohne eine erhöhte Viskosität des mütterlichen Blutes bei Frauen mit frühen ersten Geburten stand in Zusammenhang mit Kinderreichtum. Diese tibetanischen Frauen hatten häufiger die Genvariante EPAS 1 (Endothelial PAS Domain Protein 1), häufiger breite linke Herzkammern, was auf hohe Blutströme in der Lunge zurückgeführt wurde und zeigten eine insgesamt sehr effiziente Sauerstoffversorgung im gesamten Körper.

     

    Ausgereifte Adaption an die Höhe

     

    Die Autor:innen diskutieren, dass tibetanische Mütter ausgereifte Adaptionsvorgänge im Blut aufzeigen und diese Frauen somit über eine physiologische Anpassung verfügen, die erklärt, warum sie Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in einer Höhenlage unter Bedingungen nicht nur überleben, sondern extrem gut damit umgehen können.

    Die Höhenlage bewirkt, dass sich tibetanische Frauen in diesen Regionen seit Jahrhunderten erfolgreich fortpflanzen und damit gleichzeitig eine natürliche Selektion einhergeht: Tibetanische Frauen mit an die extremen Umweltbedingungen angepassten hämodynamischen und genetischen Besonderheiten kommen im Alltag und während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in extremen Höhenlagen zurecht und geben dies an ihre Nachkommen weiter. Die Autor:innen vermuten, dass die veränderten hämodynamischen Anpassungsvorgänge außerdem eine erhöhte reproduktive Fitness bewirken.

    Quelle:  Ye, S., Sun, J., Craig, S. R., Di Rienzo, A., Witonsky, D., Yu, J. J., Moya, E. A., Simonson, T. S., Powell, F. L., Basnyat, B., Strohl, K. P., Hoit, B. D., & Beall, C. M. (2024). Higher oxygen content and transport characterize high-altitude ethnic Tibetan women with the highest lifetime reproductive success. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 121(45), e2403309121. https://doi.org/10.1073/pnas.2403309121 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

     

    Rubrik: Medizin & Wissenschaft

    Erscheinungsdatum: 02.12.2024