Zwillinge und höhergradige Mehrlinge ausschließlich stillen?
Im Jahr 2019 kamen in Großbritannien 10.757 Zwillinge und 156 Drillinge oder höhergradige Mehrlinge zur Welt. Die Ernährung von Mehrlingen geht im Wochenbett mit Herausforderungen einher: Die Bedürfnisse mehrerer Kinder müssen erfüllt werden. Die Stillraten sind bei Müttern mit Mehrlingen geringer als bei Müttern eines Kindes. So beginnen nach Zwillingsgeburten 69 % aller Frauen das Stillen, jedoch stillen nach vier bis sechs Monaten lediglich noch 21 %. 68 % der Frauen, die während dieses Zeitraums nach begonnenem Stillen die Entscheidung zum Abstillen treffen, geben an, dass sie mit besserer Unterstützung länger gestillt hätten. Besonders Mehrlinge kommen häufig als Frühgeborene zur Welt und würden von den Vorteilen des Stillens besonders profitieren.
Daher erfordert der Blick auf Mehrlinge und Stillen eine besondere Perspektive: Wie erleben Mütter und Eltern von Mehrlingen die Herausforderungen ? Was sind Grenzerfahrungen und zugrundeliegende Bedürfnisse der Mütter und Eltern?
Hierzu wurde kürzlich in Großbritannien eine qualitative Studie durchgeführt. Anhand einer Online-Befragung wurden 94 Personen befragt und mit 18 Teilnehmerinnen semi-strukturierte Interviews durchgeführt.
Ergebnisse
Vier Themen wurden aufgezeigt:
- »Stillerfolg zählt zu den Dingen, auf die ich am meisten stolz bin in meinem Leben.«
- Unterstützung ist wichtig: »Man braucht ein Dorf, damit die Zwillinge gut groß werden.«
- Grenzen und Druck in Bezug auf künstliche Milchnahrung: »Sie wollten die Kinder mit künstlicher Milchnahrung abfüttern«
- »Stillen von Zwillingen ist ein dynamischer Prozess.«
Stolz
Frauen berichteten ein Gefühl des Stolzes, ihre Kinder erfolgreich stillen zu können. Eine Frau (Aoife) berichtete: »Ich bin so stolz darauf, meine Zwillinge zu stillen!« Eine andere Frau (Amelia) gab Einblicke, dass ihr dieses Gefühl und die Aufgabe der Ernährung ihrer Kinder mit Muttermilch die Kraft dazu gab, einen Umgang mit ihrer eigenen Erschöpfung als Mutter zu finden: »Ich hätte losheulen können, bevor ich ins Bett ging, weil ich wusste, alle 45 Minuten aufzuwachen ... ja, das beeinflusste meine mentale Gesundheit. Aber ich erlebte gerade dadurch ein Gefühl des Stolzes, genau das Richtige für die Kinder zu tun: aus gesundheitlicher und bindungsorientierter Perspektive.«
Unterstützung
Viele der Frauen berichteten über die Unterstützung, die sie im Umgang mit den Zwillingen oder Mehrlingen erlebten. Hierbei spielten für die Frauen vor allem Vertrauenspersonen oder enge Familienangehörige eine wichtige Rolle. Georgie berichtet: »Meine eigene Mutter war eine große Unterstützung für mich. Während ich Clusterfeeding-Phasen hatte, sorge sie dafür, dass ich ausreichend Nahrung und Getränke zu mir nahm.«
Unterstützung erlebten die Frauen auch in den Sozialen Medien. So berichtet Caroline von einer wichtigen Unterstützung durch eine Facebook-Gruppe: »Die Facebook Gruppe der Still-Unterstützung war für mich vermutlich die beste Informationsquelle, weil wir gemeinsam mit ähnlichen Situationen konfrontiert waren und uns darüber austauschen konnten.«
Grenzen und Druck
Die meisten Frauen nahmen unterschwellig eine Art Grundüberzeugung wahr, dass exklusives Stillen von Mehrlingen oder Zwillingen nicht möglich sei. So erlebte Ashley: »In den ersten Tagen hatte ich sehr wenig Unterstützung im Krankenhaus und aufgrund der Coronapandemie war die Unterstützung durch die Familie in dieser Situation nicht möglich. So habe ich zugefüttert, um entlassen zu werden. Zuhause habe ich mir hart erarbeitet, dieses Zufüttern wieder zu beenden, um meine Zwillinge exklusiv zu stillen.«
Dynamischer Prozess
Stillen von Zwillingen und Mehrlingen wurde als dynamischer Prozess beschrieben, da die Bedürfnisse der Kinder sowie die Reaktionen der Eltern sich von Situation zu Situation unterschieden und im Verlauf der Stillzeit auch änderten. Hier wurde das Thema Tandemstillen von Michelle als Beispiel aufgeführt: »Als sie sehr klein waren, habe ich sie nur im Tandem gestillt, wenn sie zur gleichen Zeit wach waren. Ansonsten habe ich sie einzeln gestillt. Nun, nachdem sie robuster sind, stille ich häufiger im Tandem ...«
Fazit
Die Autorinnen zeigen auf: Stillen von Zwillingen und Mehrlingen ist eine sehr herausfordernde, jedoch sehr lohnende Erfahrung für die stillende Mutter. Die meisten befragten Frauen waren dazu in der Lage, ihre Zwillinge und Mehrlinge exklusiv zu stillen, ihnen wurde jedoch oftmals suggeriert, dass ein Zufüttern erforderlich sei. Die Autorinnen resümieren aus den Erfahrungen der Frauen, dass Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen hierzu noch besser ausgebildet werden sollten. Frauen mit Zwillingen und Mehrlingen sollten bei ihrem Wunsch unterstützt werden, exklusiv zu stillen.
Quelle: Cassidy, H., Taylor, J., Burton, A. E., & Owen, A. (2024). A qualitative investigation of experiences of breastfeeding twins and multiples. Midwifery, 135, 104048. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.midw.2024.104048 ∙ Beate Ramsayer/DHZ