Mit dem Computer lernen?
Die Lern- und Arbeitswelt der Hebammen hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Aus dem Gebärsaal sowie aus dem Unterricht ist der Computer nicht mehr wegzudenken. Hebammenstudierende sind „Digital Natives". Sie sind in der digitalen Welt groß geworden und der Umgang mit dem Computer ist für sie selbstverständlich. E-Mails, Internet, Skypen und WhatsApp sind feste Bestandteile ihres Lebens und haben ihre Sozialisation beeinflusst (Prensky 2001). Jede Studentin am Institut für Hebammen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) besitzt heute ein Notebook oder Tablet als Arbeits-, Lern- und Kommunikationsinstrument. Und sie setzt voraus, dass auch die Angebote der Hochschulen sich danach ausrichten.
Die Anforderungen der heutigen Hebammenstudierenden an das Studium haben sich verändert. Es soll durch weniger Präsenzunterricht und mehr selbst organisiertes, zeit- und ortsunabhängiges Lernen verbessert werden. Durch E-Learning, auch Online-Lernen oder computergestütztes Lernen genannt, werden diese Veränderungen auch im Hebammenstudium berücksichtigt. E-Learning umfasst alle Formen der Methodik, bei denen Dozierende mit Hilfe von elektronischen oder digitalen Medien den Unterricht gestalten (Kerres 2013). Wenn E-Learning mit zusätzlichen Präsenzveranstaltungen verknüpft wird, spricht man von Blended-Learning oder auch integriertem Lernen (Häfele & Maier-Häfele 2012). Beim Blended-Learning ist reine Theorievermittlung mit einer praktischen Anwendung kombinierbar, zum Beispiel in Form von Fallaufgaben (Arnold et al. 2013).
Voraussetzungen für E-Learning
Grundsätzlich kann jedes Thema aus dem Theorieunterricht zu einem Blended-Learning- oder reinem E-Learning-Unterricht umgewandelt werden. Je nachdem, welche Lernziele erreicht werden sollen, können unterschiedliche Werkzeuge im E-Learning eingesetzt werden. Dazu zählen Befragungen, Chats, Multiple Choice-Tests, Wikis, Aufgabenstellungen oder Videos. Die Vielfalt der digitalen Tools, die wiederum in unterschiedlichen Lernmanagementsystemen zusammengefasst sind, ist groß. Für Hochschulen gibt es derzeit verschiedene Lernmanagementsysteme, die den E-Learning-Unterricht unterstützen (Arnold et al. 2013).
Es gibt jedoch Einschränkungen: Im Vergleich zu anderen Berufen sind Themen in der Hebammenlehre oft sensibel. Sie berühren Scham- und Grenzzonen. Dies beeinflusst die Gestaltung einer E-Learning-Sequenz, zum Beispiel beim Einsatz von Videomaterial und anderen bildgebenden Medien, die entsprechend sorgfältig ausgewählt werden müssen.
In der Hebammenlehre steht meist der gesamte Kontext einer Frau im Zentrum. Eine Fragmentierung der Themen entspricht nicht den Werten und der Grundhaltung einer ganzheitlichen Betrachtung. Zudem macht eine Aufspaltung eines großen Themas keinen Sinn, da dabei wichtige Zusammenhänge verloren gehen. E-Learning-Unterricht für das Hebammenstudium zu konzipieren, stellt Dozierende vor methodisch-didaktische Herausforderungen. Sie können den Unterricht dank E-Learning abwechslungsreicher und besser gestalten. Es erleichtert das themenübergreifende Arbeiten, das Projektlernen sowie das eigenständige Lernen. Die Studierenden übernehmen mehr Verantwortung für den eigenen Lernprozess. Dies dient auch als Vorbereitung auf die immer komplexer werdenden Anforderungen der Berufswelt und das lebenslange Lernen. E-Learning unterstützt auch die Entwicklung von sozialen Kompetenzen, indem die Studierenden Vereinbarungen einhalten müssen, an Gruppenarbeiten teilnehmen, Feedback geben und kommunizieren (Schwager & Geiger 2012).
Die Sicht der Studierenden
Der große Vorteil für die Studierenden besteht darin, dass sie orts- und zeitungebunden lernen können. Sie müssen keinen langen Anfahrtsweg für nur einige Stunden Vorlesung in Kauf nehmen, sondern können die Online-Aufgaben zu einer selbst bestimmten Zeit und mit selbst gewählten Unterbrechungen erledigen. Sie können an jedem Ort lernen, der einen Onlinezugang ermöglicht.
Eine wichtige Voraussetzung für das Erreichen der Lernziele beim E-Learning ist ein gutes Zeit- und Lernmanagement. Nur wer die Disziplin besitzt, eine bestimmte Aufgabe bis zu einem vorher angegebenen Datum zu erledigen, kann einen Wissensgewinn erzielen. Bei der Zeitplanung des E-Learning-Unterrichts ist der Aufwand größer, als wenn das gleiche Thema in einer Präsenzvorlesung vorgestellt wird. Das liegt daran, dass beim E-Learning die Wissensvermittlung und -aneignung teilweise in einem Schritt erfolgen, während dies bei der klassischen Vorlesung immer in zwei Schritten passiert. Zuerst besuchen die Studierenden die Vorlesung und kurz vor der Prüfung erfolgt dann das Lernen. Durch diese zeitliche Trennung erscheint den Studierenden der Zeitaufwand oft kürzer, weil sie das spätere Lernen nicht dazu zählen.
Die Sicht der Dozierenden
E-Learning gehört im Bachelorstudiengang Hebamme selbstverständlich zu den Lehrveranstaltungen. In den meisten Modulen werden E-Learning-Anteile angewendet. Es werden jedoch keine quantitativen Vorgaben dafür vorgegeben, weil sich der Nutzen und die Anwendung in erster Linie aus didaktischen Überlegungen ergeben sollen. E-Learning soll häufiger für die gezielte Vor- und Nachbereitung von Lerninhalten genutzt werden und das Kontaktstudium soll von der reinen Vermittlung von Stoffinhalten durch Dozierende entlastet werden. Dies erfordert eine Sensibilisierung und entsprechende Ausbildung der Dozierenden für das E-Learning, inklusive zielführender Nutzung der der Tools. Die Vorbereitung der Wissensvermittlung mit Hilfe von E-Learning erfolgt nach herkömmlichen methodisch-didaktischen Grundsätzen (Schwager & Geiger 2012):
- Adressatinnen-Analyse durchführen, Vorwissen ausgleichen
- Inhaltsanalyse und didaktische Reduktion vornehmen
- auf die Modulkompetenzen abgestimmte Grob- und Feinziele definieren
- Detailplanung gestalten
- auf die Modulkompetenzen abgestimmte Leistungsnachweise entwickeln.
Für die Dozierenden ist die größte Veränderung im E-Learning der Rollenwechsel. Sind sie bei den klassischen Vorlesungen die Hauptakteure, wechseln sie im E-Learning in die Rolle der Tutorin oder des Tutors und damit in den Hintergrund. Sie sind nicht mehr für die eigentliche Wissensvermittlung zuständig, sondern übernehmen eine begleitende Rolle.
Reines E-Learning, ein Lernprozess ohne Kontakt zu Dozierenden, führt bei einigen Studierenden zu Unsicherheiten. Sie vermissen beim selbstgesteuerten Lernen die Möglichkeit, Fragen zu stellen und ein Feedback zu erhalten, um einschätzen zu können, ob und wie sie das Lernziel erreicht haben oder nicht. Aus diesem Grund wird das Blended-Learning dem reinen E-Learning im Hebammenstudium an der ZHAW vorgezogen.
Schlussfolgerungen
Sowohl Studierende als auch Dozierende schätzen das Blended-Learning sehr. Es sollte pädagogisch und fachdidaktisch sinnvoll eingesetzt werden. Blended-Learning spricht vor allem diejenigen Studierenden an, die selbstorganisiert und eigenverantwortlich lernen können. E-Learning bringt den Studierenden und Dozierenden Vorteile, wenn ein sinnvolles didaktisches Konzept vorliegt, die technische Plattform funktionstüchtig ist, der Medieneinsatz gut vorbereitet und strukturiert erfolgt, die Studierenden von den Dozierenden fachkundig unterstützt werden, die Dozierenden auf einen IT-Support zurückgreifen können und der Medieneinsatz ausgewertet und reflektiert wird (Schwager & Geiger 2012).
Eine Studentin an der ZHAW sagte: „Ich konnte beim E-Learning richtig lange am Stück konzentriert an einem Thema bleiben. Das ist mir bisher nie gelungen. Oft hatte ich schnell keine Lust mehr und hab mich in Vorlesungen von anderen Dingen ablenken lassen."
Literatur
Prensky, M.: Digital Natives, Digital Immigrants. In: On The Horizon MCB University Press. Vol. 9 No. 5 (2001)
Kerres, M.: Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. 4. überarbeitete und aktualisierte Auflage. Oldenbourg-Verlag. München (2013)
Häfele, H.; Maier-Häfele, K.: 101 e-Learning Seminarmethoden. Methoden und Strategien für die Online- und Blended-Learning-Seminarpraxis. 5. völlig überarbeitete Auflage. managerSeminare Verlags GmbH. Bonn (2012)
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